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13.07.2024

Von Bolivien nach Nazi-Deutschland

NS-Zeitzeuge Werner Fischer erzählt.

Andächtig lauschten die Klassen 9a und 9b sowie die Klassenstufe 11 mit ihren Fachlehrer:innen am Nachmittag des 12. Juli 2024 dem 93-jährigen Werner Fischer, als dieser rund anderthalb Stunden aus seinem langen und wendungsreichen Leben berichtete. Heute lebt der frühere Lehrer, welcher jahrzehntelang in Meßkirch sein Wissen an die Schülerschaft weitergegeben hatte, gemeinsam mit seiner Frau in Heudorf. So geplant war dies allerdings nicht.

Werner Fischer wurde in Santa Cruz de la Sierra in Bolivien geboren. Mitte der 20er Jahre hatte es Vater Karl dorthin gezogen. Die Weltwirtschaftskrise hatte ihn arbeitslos gemacht, aber da gab es ja noch diesen Schulfreund, der selbst ausgewandert war und ihm helfen konnte. Aus Müllheim, 40 Kilometer südwestlich von Freiburg gelegen, ging es nach La Paz. 1927 folgte ihm die Verlobte Gertrud, im April 1931 kam der Erstgeborene Werner zur Welt.

1938 endete diese Phase im Land mit den heißen Sommern und der dünnen Luft im Hochland jäh: Weil man als Europäer alle drei Jahre für sechs Monate Heimaturlaub bekam, ging es zur Oma in Baden-Württemberg, die ihren Enkel noch nie im Arm gehalten hatte. Heute kaum mehr vorstellbar: Per Flugzeug, mit der Eisenbahn und schließlich mit dem Schiff ging die Reise über die Kontinente hinweg. Im März 1940 sollte es wieder zurück nach Bolivien gehen, die Rückfahrkarte für einen schwedischen Dampfer war schon gekauft. Doch dann durfte der Vater, der Leutnant im Ersten Weltkrieg gewesen war, nicht mehr ausreisen und wurde eingezogen. Und das Vermögen in Bolivien war spätestens mit der Kriegserklärung gegen Deutschland im April 1942 verloren; da die Familie freiwillig gegangen war, wurde sie entschädigungslos enteignet – und teilte sich nun ein Haus mit den Großeltern in Müllheim. 1948 kehrte der Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück, konnte sich aber zeitlebens nicht mehr von dem gesellschaftlichen Absturz erholen und suchte etwa in der Religion Halt und Orientierung.

Sohn Werner studierte nach dem Abitur 1950 in Freiburg i. Br. Deutsch, Geschichte und Philosophie und wurde 1957 promoviert. Anschließend ging er für ein Jahr als Lehrer nach England. 1961 trat er in Meßkirch seinen Dienst an, 1995 ging er als Studiendirektor und stellvertretender Schulleiter in den Ruhestand. Fischer ist Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande und war bis Mai 2017 Leiter des Meßkircher Heimatmuseums. In sein Geburtsland Bolivien ist er allerdings nie mehr zurückgekehrt.

In dem 90-minütigen Vortrag war die Biografie des Referenten auch mit allerlei spannenden Details und Anekdoten gespickt, z.B. wenn Fischer von seinem jüdischen Schulschwarm berichtete, die eines Tages „abgeholt" wurde, oder wenn er von Militärischem wie etwa Phosphorbomben oder dem Angriff der „Jagos" (Jagdbomber) berichtete. Breitgefächerte zusätzliche Einblicke in den Umgang mit erntezerstörenden Kartoffelkäfern, ins damalige Rundfunkwesen (das verräterische BBC-Pausenzeichen!) oder in die v.a. von französischer Seite brutale Besatzungszeit, um nur wenige Punkte aufzuzählen, komplettierten einen intensiven Erlebnisbericht, der sowohl bei den Schülerinnen als auch bei der Lehrerschaft staunende Gesichter zurückließ. Ein großes Dankeschön an Herrn Fischer!

Text: André Kiefer
Bilder: André Kiefer

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