Studienfahrt nach Prag

Die Vorfreude auf die alljährliche Rom Fahrt wächst und wächst bei den Elftklässlerinnen der Heimschule Kloster Wald. Doch dann die Enttäuschung: Ausgerechnet unser Jahrgang erwischt das heilige Jahr der Stadt, was die völlige Ausbuchung zur Folge hat. Schnell wird klar: Rom fällt ins Wasser. Stattdessen: Prag. „Anstatt Casanovas auf Motorinos, la Dolce Vita und Espresso im Stehen jetzt also Dauerregen, Kopfsteinpflaster und betrunkene Rüpel auf Junggesellenabschied", denken wir.
59 Schülerinnen steigen also am Sonntag den 01.06. pünktlich um 06:45 Uhr in den Bus nach Prag ein. Als wir nach anstrengender Anreise erstmals die Straßen Prags zu Gesicht bekommen, über denen sich gotische Kirchen und barocke Dome nur so türmen, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Mir wird bewusst, wieso Prag auch „die Stadt der tausend Türme" heißt. Die meisten von uns hatten von Prag bis auf irgendeinen Fenstersturz noch nicht viel gehört und wissen zu dem Zeitpunkt noch nicht, was die Prager Sehenswürdigkeiten so zu bieten haben. Wir werden positiv überrascht, als wir plötzlich auf der Karlsbrücke stehen und uns auf einmal nicht mehr sicher sind, ob das hier so viel schlimmer als Rom ist. Mit ihrem Gotischen Stil und den majestätischen Statuen, die den Rand der Brücke schmücken, kommt man sich beim Überqueren der Brücke wie bei einer Kunstausstellung vor.
Wir haben das Glück, dass uns ein Tour Guide zur Verfügung steht, der als waschechter Tscheche bestens über die Geschichte und Sehenswürdigkeiten Prags berichtet. Er hat sowohl die kommunistische Diktatur als auch die Revoution zu einem demokratischen Staat miterlebt und kann uns so besonders auf sozialer Ebene veraschaulichen, in was für einer Lage sich die Tschechische Republik befand. Er erklärt uns, dass Prag über die Jahre außerordentlich gut erhalten blieb, da schon früh eine starke Wertschätzung des Kulturerbes herrschte. Architekten, Historiker und Bürgerbewegungen setzten sich für den Erhalt historischer Gebäude ein – teils auch als Ausdruck nationaler Identität gegen die Habsburger Monarchie. Viele Gebäude wurden liebevoll restauriert statt abgerissen.
Besonders eindrucksvoll sind die jüdischen Viertel der Stadt, in denen wir Synagogen und ein jüdisches Museum besichtigen. Dort sind beispielsweise Malereien von jüdischen Kindern aus Konzentrationslagern ausgestellt und die Wände mit etlichen Namen der Opfer beschriftet. Die Geschichte Prags lässt uns vor allem als Deutsche nachdenklich zurück und wird uns besonders durch unseren Tour Guide nahegebracht. Uns wird klar, wie sich die Geschichte auf das heutige Prag auswirkt. Von dem Leid, dass dem Land einst zugefügt wurde ist nichts mehr zu spüren, ganz im Gegenteil: Die lebhaften Straßen, die Individualität der Leute und die harmoniscfhe Atmosphäre ist viel präsenter, man kriegt das Gefühl, die Freiheit werde besonders hochgeschätzt, da das Volk sie erst seit so kurzer Zeit erleben darf.
Prag schmückt sich außerdem nicht nur mit seiner Architektur, sondern auch mit seiner Berühmtheit Franz Kafka, der den Großteil seines Lebens in seiner Heimatstadt Prag verbrachte. Als wir schon mal im jüdischen Viertel sind, bietet es sich dementsprechend an, das ehemalige Haus Franz Kafkas zu sehen. Für einige von uns ein komisches Gefühl vor einem Haus zu stehen, in dem ein Autor lebte, den man mittlerweile glaubt, persönlich zu kennen, da man seine Literatur bis ins kleinste Detail im Deutsch Unterricht behandelt hat. Nicht nur Kafkas Haus dürfen wir bestaunen, sondern im Kafka-Museum auch die originalen Briefe, die er an seinen Vater und seine Geliebte schrieb. Allerdings lassen sich die gedruckten Ausgaben um einiges besser lesen als die Handschrift Kafkas. Nach der ganzen Lauferei kommt die Schiffahrt über die Moldau gerade recht, bei der man sich Prag auf gemütlichere Art und Weise einfach an sich vorbeiziehen lässt. Die Moldau sehen wir später auch aus anderer Perspektive, nämlich von der berühmten Karlsbrücke, die bei Abend im sanften Straßenlaternenlicht wie aus einem Märchen entflohen scheint. Die Aussicht auf die Prager Burg mit dem Veitsdom ist postkartenreif. Natürlich darf die Freizeit nicht zu kurz kommen, deswegen dürfen wir häufig die Prager Staßen auf eigene Faust erkunden und das ein oder andere Touri-Souvenir für viel zu viel Geld erwerben. Es ergibt sich ein unerwarteter Programmpunkt, der uns durch den Kontakt einer Lehrerin möglich macht, den englischen Botschafter in seiner Residenz zu besuchen, was für uns alle eine einmalige Erinnerung bleiben wird und für vielen Schülerinnen zu ihrem „Highlight" der gesamten Studienfahrt wird. Wir kriegen die Möglichkeit zu einer kleinen Fragerunde mit dem englischen Botschafter, bei der wir alles rund um seinen Werdegang und seinen Beruf erfahren.
Während des Kalten Krieges bereitete sich die Tschechoslowakei – als Mitglied des Ostblocks – auf einen möglichen Atomkrieg vor. In dieser Zeit entstanden in Prag mehrere zivile und militärische Atombunker, von denen wir einen besuchen dürfen. Wir sehen den "Bunker Bezovka". Dieser unterirdische Komplex im Stadtteil Žižkov wurde in den 1950er Jahren gebaut und war für den Notfallbetrieb der kommunistischen Führung vorgesehen. Der Bunker kann bis zu 5.000 Menschen Schutz bieten und ist mit Luftfiltersystemen, Stromgeneratoren, Vorratskammern und medizinischen Einrichtungen ausgestattet. Heute dient er als Museum und Eventlocation und erlaubt einen eindrucksvollen Blick in die paranoide Atmosphäre des Kalten Krieges. Die Prager Bunker sind ein beklemmendes, aber faszinierendes Zeugnis der geopolitischen Spannungen des 20. Jahrhunderts. Es wird uns allen klar, wie stark die Angst vor einem möglichen Atomkrieg die Architektur, Stadtplanung und das Sicherheitsdenken in jener Zeit beeinflusst hat. Nach diesen ganzen beklemmenden historischen Themen brauchen wir alle etwas Aufheiterndes. Was bietet sich da am besten? Kunst! Also machen wir uns auf zum illusions Art Museum, welches idealerweise mitten in der Innenstadt liegt. Wir sehen alle möglichen Kunstwerke, die auf den zweiten Hingucker immer ein zweites Bild schaffen. Außerdem erfahren wir viel über die Prager Architektur und wie sich diese entwickelte. „Es ist schon verrückt, dass ein Land, welches in der Geschichte so oft auf den Deckel bekommen hat, es trotzdem schafft, sich seine künstlerische Kreativität nicht nehmen zu lassen." höre ich eine Schülerin neben mir sagen.
Es wird eine Studienfahrt, die uns im Kopf bleibt. Wenn ich jetzt zurückdenke, habe ich Bilder von einer Stadt voller Kunst, Geschichte und Idylle vor Augen. Nach der Studienfahrt rede ich noch mit vielen Freundinnen über die Stadt. Wir sind alle der Meinung, dass wir Prag in seiner Schönheit unterschätzten und unsere Skepsis durch Ungewissheit kam. Wenn ein Haufen Jugendlicher von Rom hört, hat er natürlich ein stärkeres Bild im Kopf als bei Prag. „Eigentlich schade", finden wir.
Text: Fernanda Haarmann
Bilder: Jürgen Huber